Vor einiger Zeit hatte ich wieder einmal Kontakt mit einem Versicherungsmakler, mit dem ich vor drei Jahren über die Planung seiner Maklernachfolge gesprochen hatte. Anders als in anderen Fällen lag hier nicht etwa Zeitdruck oder gesundheitliche Probleme vor. Nein, er hatte rechtzeitig und planvoll begonnen.
Das Problem lag woanders: bei der Werteinschätzung seines Bestands. „Herr Grimm“, sagte er nachdenklich, „ich hätte eine professionelle Bewertung machen lassen sollen.“ Er hatte seinen Bestand auf 500.000 Euro geschätzt. Rein aus dem Bauch heraus, ohne fundierte Grundlage. Nach drei Jahren und verschiedenen Verkaufsgesprächen zeigt sich: Der tatsächlich erzielbare Preis liegt eher bei 320.000 Euro. Zeit hatte er genug, aber die falsche Ausgangsbasis kostete ihn bei der Regelung seiner Nachfolge viel Geld und Nerven.
Fehlende Grundlage = teure Fehlentscheidungen
Die Geschichte dieses Versicherungsmaklers zeigt den wohl häufigsten und fatalsten Fehler in der Maklernachfolge: eine unrealistische Werteinschätzung des eigenen Bestands. Ob zu hoch oder zu niedrig: Beide Extreme führen zu teuren Fehlentscheidungen und unnötigen Problemen.
In der Praxis erleben wir täglich, wie Maklerinnen und Makler die Planung ihrer Nachfolge ohne fundierte Wertermittlung angehen. Sie schätzen den Wert ihres Lebenswerks aus dem Bauch heraus, hören auf gut gemeinte Ratschläge von Steuerberatern oder orientieren sich an Hörensagen aus der Branche. Eine sachverständige Bewertung wird oft als überflüssig betrachtet, schließlich kennt man das eigene Geschäft am besten.
Diese Herangehensweise kann zu gravierenden Fehlentscheidungen führen: Überhöhte Preisvorstellungen vergraulen potenzielle Käufer, während zu niedrige Ansätze wertvolle Verhandlungsspielräume verschenken. Beides kostet am Ende viel Geld.
Falle 1: Überschätzung als Reputationskiller
Dieser Versicherungsmakler ist in die klassische Überschätzungsfalle getappt. Was zunächst nur wie ein Verhandlungsproblem aussah, entwickelte sich schnell zu einem Reputationsdesaster. Nach dem dritten gescheiterten Verkaufsprozess sprach sich in der regionalen Maklerszene herum, dass völlig unrealistische Preise verlangt wurden. Potenzielle Interessenten winkten bereits ab, bevor sie überhaupt die Zahlen gesehen hatten.
Noch perfider: Die wenigen verbliebenen Interessenten begannen, strategisch unaufrichtig zu agieren. Ein Großkäufer ging scheinbar auf seinen Preis von 500.000 Euro ein, führte ihn monatelang an der Nase herum, ließ ihn schon vom kommenden Ruhestand träumen und drehte dann kurz vor Vertragsabschluss drastisch am Preis. Nach der Due Diligence wurden plötzlich nur noch 280.000 Euro geboten.
Zu diesem Zeitpunkt war er bereits 63. Eine erneute Kandidatensuche hätte mindestens ein weiteres Jahr gedauert. Der Käufer wusste das und nutzte die Zeitnot gnadenlos aus.
Gleichzeitig hatte der Anwalt des Käufers allerlei Klauseln in den Vertragsentwurf eingebaut, die nachträgliche Kaufpreisreduzierungen ermöglichten: übertriebene Garantien für die Bestandsqualität, Abzüge für Stornoreserven, Malus-Regelungen bei Kundenabwanderung.
Auch wenn sich ein Jung- und ein Seniormakler finden, die ideal zusammenpassen müssten, passiert es oft genug, dass die Verhandlungen dann doch in einer Endlosschleife enden. Der Grund: unrealistische Preisvorstellungen, die jeden vernünftigen Verhandlungsrahmen bei einer Nachfolge sprengen.
Die Ironie: Die überhöhte Preisvorstellung dieses Versicherungsmaklers führte nicht nur dazu, dass er weniger bekam als sein Bestand wirklich wert war, sie machte ihn auch zum leichten Opfer für unfaire Verhandlungstaktiken.
Falle 2: Unterschätzung mit verpassten Chancen
Am anderen Ende des Spektrums stehen Maklerinnen und Makler, die ihren Bestand deutlich unter Wert verkaufen. Oft aus Unsicherheit über die Marktentwicklung. Ein typischer Fall: Eine Finanz- und Versicherungsmaklerin aus Hannover mit einem Jahresumsatz von 140.000 Euro und einem Gewinn von rund 95.000 Euro. Sie war 59, gesund und hätte problemlos noch Jahre arbeiten können.
Ihre Sorge: Wenn jetzt alle Babyboomer-Makler ihre Bestände auf den Markt werfen, könnten die Preise einbrechen. Lieber heute verkaufen als morgen mit weniger dastehen. Ohne eine fundierte Bewertung der verschiedenen Optionen verkaufte sie ihren Bestand für rund 240.000 Euro an eine Maklergruppe – weit unter dem, was realistisch möglich gewesen wäre.
Eine sachverständige Bewertung hätte gezeigt: Bei ihrer Bestandsqualität wären etwa 350.000 bis 400.000 Euro beim Sofortverkauf durchaus realistisch gewesen. Auch andere Verkaufsmodelle hätten deutlich bessere Ergebnisse erzielt. Ein ähnlicher Bestand hatte bei uns in etwa zur selben Zeit einen Preis von rund 380.000 Euro erzielt.
Der bittere Nachgeschmack: etwa 140.000 Euro Differenz, die eine professionelle Beratung hätte vermeiden können.
Verschiedene Verkaufsmodelle richtig bewerten
Ohne eine realistische Werteinschätzung können Maklerinnen und Makler die verschiedenen Ausstiegsoptionen nicht fundiert gegeneinander abwägen. Sofortverkauf, Maklerrente und persönlicher Run-off haben völlig unterschiedliche Wertfaktoren und Risikoprofile, aber nur mit einer soliden Bewertungsgrundlage lassen sich die Vor- und Nachteile jeder Option richtig einschätzen:
- Der Sofortverkauf bringt sofortige Liquidität und kann steuerlich oft am vorteilhaftesten sein.
- Die Maklerrente verteilt die Erlöse über Jahre, birgt aber das Risiko der Abhängigkeit vom Käufer und möglicher Bestandsrückgänge.
- Der persönliche Run-off erfordert Zeit und Energie und ist mit verschiedenen Risiken verbunden.
Ein 58-jähriger Investmentmakler aus Stuttgart hatte das verstanden. Bei einem Jahresumsatz von 165.000 Euro bereitete er parallel drei Szenarien vor: einen Sofortverkauf für 420.000 Euro, eine Maklerrente mit Gesamtvolumen von 540.000 Euro über acht Jahre und einen dreijährigen Run-off mit geschätztem Erlös von 580.000 Euro. Mit diesen Alternativen ging er in die Verhandlungen und erzielte schließlich beim Sofortverkauf 460.000 Euro, weil die Käufer wussten, dass er echte Alternativen hatte.
Die Psychologie der Verhandlungsführung
Überhöhte Preisvorstellungen vergiften die gesamte Verhandlungsatmosphäre. Sie erzeugen einen Teufelskreis: Der unrealistische Preis schreckt seriöse Interessenten ab, beschädigt die Reputation des Verkäufers und zieht letztendlich nur noch Käufer an, die auf unfaire Weise vom Zeitdruck des Verkäufers profitieren wollen.
Paradoxerweise führt ein realistischer Ausgangspreis oft zu einem höheren Endpreis. Warum? Weil sich mehr Interessenten melden, ein echter Wettbewerb entsteht und der Verkäufer aus einer Position der Stärke verhandeln kann.
Die „Bieterscheu“ bei unrealistischen Preisen ist ein reales Phänomen. Potenzielle Käufer denken sich: „Wenn der schon mit so einem Preis anfängt, wie soll ich da jemals zu einem vernünftigen Ergebnis kommen?“ Sie investieren erst gar keine Zeit in eine Prüfung des Bestands.
Praktische Lösungsansätze für die richtige Wertfindung
Statt einer exakten Zahl sollten Maklerinnen und Makler eine realistische Wertbandbreite ermitteln. Diese entsteht durch:
- Vergleich aktueller Marktransaktionen ähnlicher Bestände
- Bewertung aller drei Ausstiegsoptionen (Verkauf, Rente, Run-off)
- Berücksichtigung der individuellen Situation (Alter, Gesundheit, Zeitdruck)
- Ehrliche Einschätzung der Bestandsqualität
Eine professionelle Bewertung ist dann sinnvoll, wenn sie bei der Marktanalyse und Strategieentwicklung hilft und eine realistische Einschätzung der verschiedenen Optionen ermöglicht. Wer sich nur auf Bauchgefühl verlässt, riskiert teure Fehlentscheidungen.
Fazit: Realismus zahlt sich aus
Zurück zu dem Versicherungsmakler aus dem Beispiel. Heute, drei Jahre später, ist er klüger geworden. Er hat seinen Bestand zunächst vom Markt genommen und ein Jahr lang keine Verkaufsgespräche geführt, um die gescheiterten Versuche vergessen zu machen.
In dieser Zeit ließ er eine professionelle Bewertung erstellen und erarbeitete sich drei echte Alternativen. Mit einer soliden Platzierungsstrategie ging er dann wieder an den Markt – und steht kurz vor einem Abschluss für rund 380.000 Euro. Nicht die 500.000 Euro aus seiner ursprünglichen Schätzung, aber deutlich mehr als die etwa 280.000 Euro, die ihm der unfaire Käufer bieten wollte.
Seine wichtigste Erkenntnis: „Ich hätte von Anfang an eine fundierte Bewertung machen lassen sollen – nicht einfach aus dem Bauch heraus schätzen.“ Denn der Wert des eigenen Lebenswerks liegt nicht in spontanen Einschätzungen oder Wunschdenken, sondern in einer realistischen Marktbetrachtung. Wer das versteht und entsprechend handelt, vermeidet die größten Fallen der Maklernachfolge.
Zum vorherigen Beitrag dieser Reihe: Mehr als nur Verkauf
Titelbild: © Christoph Vohler